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Bildnerische Improvisation Sprache Transdisziplinäre Performance 2021

Di 11. Mai 2021 18:00 – Küchengespräch

Irmgard Linke Traunfellner als Frau Olga
Ulli Klepalski als Frau Gitta

Im vorigen Winter lernte ich anlässlich einer Gruppenausstellung im Kunsthaus Laa Mag. Elisabeth Ledersberger besser kennen, nach einigen Gesprächen lud sie mich ein, zu dem Thema „80+“ eine oder mehrere Arbeiten anzufertigen, die, es gab allerdings noch keinen Termin und kein genaues Konzept, in der nächsten Zeit Teil eines Ausstellungsprojekts sein würden. Ich machte mich diesen Sommer an die Arbeit und freue mich, dass dieses Ausstellungsprojekt realisiert wurde. Das „80+“-Thema war so angedacht, dass ich eine ältere Dame (92 Jahre!) in Laa als Ansprechperson zugedacht bekam, die ich in ihrer Wohnung interviewen durfte, bevor ich mich näher auf ihr Leben und ihre Geschichte einließ und dazu arbeitete. 

Nun hatte ich die Idee, diese „Frau Olga“ mit meiner Mutter „Frau Gitta“ (aus der klaustrophobischen Küche) in einen fiktiven Dialog treten zu lassen. Diesen Text füge ich als Worddatei  bei, habe ihn aber auch in meiner bewährten Manier auf A4 Keilrahmen gemalt und außerdem in ein großformatiges Gemälde eingeschrieben. Die Entstehungsgeschichte zu diesem Vierteiler ist folgende: Bei der Ausstellung im Semperitwerk wählte ich für die „Klaustrophobische Küche“ den Schornsteinraum als adäquat für meine Präsentation und installierte u.a. eine Fotodokumentation der abgelebten Küche meiner Mutter.

Am Ausstellungswochenende gab es jedoch einen extremen Wettersturz, es regnete, regnete, regnete, stürmte und als ich zur Eröffnung nach Traiskirchen kam, gammelte die Fotodokumentation zerrissen, zum Teil aufgeweikt, an zwei Nägeln noch lose baumelnd traurig und desolat im Schornsteinraum. Die anderen Exponate hatten eine ähnliche Behandlung durch die Witterung erfahren. Während des Wochenendes regnete es weiter, der Schorsteinraum entwickelte sich zum Feuchtbiotop, er hatte nämlich nur ein sehr ramponiertes Dach und auch in den Wänden fehlten viele Ziegel. So war ich dauernd damit beschäftigt, verzweifelt irgend etwas ins Trockene zu retten. Schweren Herzens beschloss ich, das meiste, darunter auch die Fotodokumentation vor Ort zu entsorgen, entschied mich aber im letzten Moment anders und stopfte sie in den Transporter.

Als ich sie auf dem Atelierboden aufgerollt hatte, sah ich darin plötzlich Unglaubliches: Schwaden der Demenz von Frau Gitta, meiner Mutter begleiteten und überlagerten eine stakkatoartige Wiederkehr von banalen Einzelheiten, Irrsinn und Unsinn und ein ungeheurer unfreiwilliger Humor oder Aberwitz gaben einander die Hand und gleichzeitig spürte ich über all dem die positive, ordnende, sinnstiftende lebensbejahende Ausstrahlung von Frau Olga, meiner Ansprechdame aus Laa. Da wusste ich, warum ich das zerstörte Exponat nicht entsorgt hatte, die Idee für ein Gemälde war da.

Dann malte ich ein kleines Porträt von Frau Olga in Öl (20×20 cm), mehrere Porträts meiner Mutter in ähnlichen Formaten existierten bereits.

Um die beiden Damen einander näher zu bringen, lasse ich sie als Protagonistinnen in der Rauminstallation „Küchengespräch“ in Erscheinung treten. Dazu entstanden mit Laubsäge und Sperrholz mehrere Regale, ein Tisch, ein Kasten und 2 Sessel, auf welche ich Frau Olga und Frau Gitta aus Modelliermasse, bemalt setzte. Die klaustrophobischen Küchenmöbel beklebte ich mit Resten der Fotodokumentation „Klaustrophobische Küche“.

Ergänzend zu dieser Arbeit:

1)      Meine schwesterlich-mütterliche Beziehung zu Frau Olga, zwischen uns entstand auf Anhieb ein empathisches, warmes, quicklebendiges Band, als hätten wir einander seit Ewigkeiten gekannt, gemocht und geschätzt. Frau Olga war von Anfang an unglaublich kreativ in ihren Erzählungen  und mir sehr hilfreich für meine Arbeit zu dem Projekt „80+“

2)      Frau Olga und Frau Gitta, die sich in der Realität zwar nicht kannten, aber für mich ein Synonym von „Schwestern im Geist“ darstellten, sie lebten ungefähr zur gleichen Zeit, hatten beide den zweiten Weltkrieg mit all seinen Schrecklichkeiten durchgemacht und diese Erfahrung auf sehr unterschiedliche Weise verarbeitet, aber Schwestern sind ja oft auch sehr verschieden. Die beiden Frauen hatten wohl einen sehr unterschiedlichen sozialen und familiären Hintergrund (was auch in dem fiktiven Dialog herauskommt), aber, wie das bei Schwestern nicht selten so ist, vertraten ihre Position und Ansicht mit Verve und Überzeugung und wurden nie beleidigend. Der Diskurs blieb immer respektvoll, manchmal auch sehr humorvoll.

3)      Für mich deckte die Arbeit an dem Projekt „80+“ mehrere soziale Komponenten ab, da ich viel über den Lebensabschnitt „Alter“ erfuhr und meine Meinung in vielen Gesichtspunkten revidieren musste. Ich hatte ja nur meine alte Mutter gekannt, die mit 80 Jahren in ihrer Wohnung stürzte und sich dabei alles brach, was sich ein Mensch nur brechen kann, man hat mir damals gesagt, sie würde den nächsten Tag nicht mehr erleben, aber die Arme musste noch 2 Jahre in Kleinkindstatus weiterexistieren, konnte nur mehr lallen, war ans Bett gefesselt und blickte mit ihren großen erschöpften Augen verständnislos in die sie umgebende Welt. Das war für mich eine schreckliche, doch auch sehr intensive Zeit, ich hatte sie in mehreren Kliniken und Heimen untergebracht, zuletzt auf der Neurologie im psychiatrischen Krankenhaus in Ybbs an der Donau, wo ich sie jeden zweiten Tag besuchte. Um diese Erfahrungen zu verarbeiten, entstand damals mein Kunstprojekt „Die klaustrophobische Küche“.

Das zur Einleitung für meine Performance Küchengespräch. Dafür möchte ich sowohl die Rolle von Frau Gitta wie von Frau Olga in einer performativen Lesung übernehmen und diese Situation spielen. Ich würde bei den Gesprächswechseln auch jedesmal mein outfit verändern, das heißt, für Frau Olga eine weiße Perücke überstülpen und für Frau Gitta eine braune, für Frau Olga einen geblümten Rock und für Frau Gitta einen karierten, für Frau Olga eine Lesebrille und für Frau Gitta eine Sonnenbrille. Allerdings würde ich diese Umkleideszenerie nicht bis zum Ende des Textes stattfinden lassen, sondern nur bis zum ersten Drittel,  dann nur mehr Perücken und Brillen wechseln und zum Schluss nur mehr die Brillen.

Das ganze dauert ca. eine halbe Stunde, kann aber beliebig ausgedehnt werden.

 ULLI KLEPALSKI

www.ulliklepalski.at 

http://www.ulliklepalski.com

 Atelier: 1080 Wien, Buchfeldgasse 9/1+2  mob:0676 6903262

Am 9.6.1953 in Wien geboren. Schreibendreisendsuchend, seit 1986 malend (autodidaktisch und konsequent). Zahlreiche Einzel- und Gemeinschaftsausstellungsaktivitäten, Lesungen und Performances in Galerien, Theatern, an öffentlichen Orten im In- und Ausland. Buchillustrationen. Literarische Veröffentlichungen  (Ullstein, Ariadne Press, USA). Preis der Stadt Wien für Postkartenentwurf, 1990. Werke in öffentlicher und privater Hand im In- und Ausland. Mitglied der internationalen Holzschneidervereinigung XYLON und von BILDRECHT. 

Medienpräsenz: Wiener Zeitung (Porträt), Vernissage, Okto (Porträt), DIE FURCHE (Porträt), Leporello (Ö1)

 Bei der Ausschreibung von ESSL CONTEMPORARY für „emerging artists 2008“ zählte ich zu den 60 KünstlerInnen der Vorauswahl von über 1000 Bewerbungen.

 „Wenn ich an einem Text arbeitete, schoben sich immer wieder Bilder dazwischen. Aus einem Traum wird ein Bild, die bildliche Idee verdichtet sich zu Text. Die Zusammenhanglosigkeit ist bloß scheinbar; ein Faden der Intensität konzentrierter Empfindung verknüpft meine Zeichnungen, Schriften, Malereien, die Holz- und Linolschnitte und Materialkombinationen, Lektüreverarbeitungen, Kunstreflexionen und Traumbilder gleich einer geheimnisvollen Melodie.“

Personalen (Auswahl):

1997, 2001, 2010, 2016 (Beteiligung)       alpha, Frauen für die Zukunft, Wien

2001       Galerie A41 im Hof, Wien

2002       Literaturhaus Wien

 2005        Landhausgalerie Ausstellungsbrücke St. Pölten

2007        Projekt: Biedermeier uptodate, Galerie Vor Ort, Wien

2011        Projekt: Erdbegraben – Schaumgeboren, Palais Kabelwerk, artspace, Wien

2012, 2016        AKH contemporary, Wien

2013        Galerie Artefakt, Wien

2015        Bezirksmuseum Josefstadt

2016        Gauermann Museum, NÖ

2017        G.A.S.Station, Berlin / Salon Goldschlag, Wien

2018        Kunsthaus Laa, Niederösterreich (Projekt 80+) / Zwischendecke, Wien / Projektraum MAG3, Wien

2019        Gallery ARTIFACT, New York

2020        Lichtraum eins, Wien
                Amerlinghaus, Wien

Beteiligungen (Auswahl):

1995 – 1998      APERTO WIEN

2004      Projekt EbbE, Künstlerhaus Wien, Passagegalerie

2008, 2010, 2015      ARTmART Künstlerhaus Wien

2010, 2015, 2017      G.A.S.Station, Berlin / Im Achten herum, Wien

2019      Hans Werner Henze Musikschule, Berlin

Irmgard Linke – Traunfellner

1948 im Nö.Waldviertel als Tochter des Grafikers und Malers Franz Traunfellner (1913-1986) geboren. Matura in Wien. Arbeit in der Arzneimittelforschung. Zeichnerin in einem Modeatelier. Heirat, 3 Kinder, Betreuung der parkinsonkranken Mutter. Seit 1986 Verwaltung und Betreuung des väterlichen Nachlasses. Ab 1993 Kuratorin der Franz Traunfellner Dokumentation im Schloss Pöggstall/Nö. Kunst umgibt und begleitet mich seit Kindertagen, Kontakte zu Künstlern und Kunstsammlern sind ein wichtiger Teil meines Lebens. In meiner 30-jährigen Freundschaft mit Ulli Klepalski darf ich Anteil nehmen an ihrer faszinierenden künstlerischen Entwicklung und staune immer wieder über ihre Kreativität und die Vielschichtigkeit ihres Werkes.

KunstbeTrieb hat als Galerie und Proberaum unter Beschränkungen geöffnet. Eintritt frei.
Wir bitten um Spenden: Erste Bank: Verein KunstbeTrieb AT61 2011 1293 2935 1201